Weiße Masken in Kreuzberg - Mehr als Graffiti: das Street-Art-Festival "Planet Prozess"

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Kito Nedo

Woher kommen die denn? Zwei riesige merkwürdige Gestalten zieren seit Ende vergangener Woche die Brandwand eines Hauses an der Schlesischen Straße in Berlin-Kreuzberg. Über Nacht hatten der französische Street-Art-Künstler JR und sein italienischer Kollege BLU gemeinsam ein maskiertes Paar auf die verwitterte Backsteinfläche aufgetragen und so vielleicht das schönste, sicherlich aber das sichtbarste Kunstwerk der vierwöchigen Street-Art-Schau "Planet Prozess" im ehemaligen Senatsspeicher in der Cuvrystraße produziert. Was die beiden Figuren da treiben, ist allerdings nicht ganz klar: Stülpen sie sich gerade Masken über oder ziehen sie sich die Masken gegenzeitig vom Kopf? Handelt es sich um ein letztes Salut an die autonome Vergangenheit des ehemals als ziemlich rauflustig verrufenen Stadtteils?


JR und BLU gehören zu den bekannteren Vertretern der Street Art, jener jungen, vitalen und international vernetzten Kunstszene, die ihre Wurzeln in der Graffitikunst der frühen Achtziger hat. Mit Graffiti der alten Schule haben die Künstler von heute jedoch nur noch wenig gemeinsam, auch wenn unbestreitbar gilt, dass beides ohne die Auseinandersetzung mit der Stadt, ihren Architekturen, ihrer Organisiertheit und wie sich Menschen in diesen Räumen bewegen, nicht existieren würde.

Die kreative, nicht immer legale Aneignung des Stadtraums ist eine Sache, an der sich alle Street Art erkennen lässt. Dabei sind die angewandten Strategien vielfältig, und ebenso wie die parallel laufende, dritte Backjumps-Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien um die Ecke bietet auch "Planet Prozess" reichhaltiges Anschauungsmaterial. Der aus Spanien stammende Künstler NANO4814 von der Künstlergruppe "El Equipo Plastico" begnügt sich beispielsweise nicht damit, einfache Graffiti, Tags oder Plakate auf die Mauern der Stadt zu bringen - sein Medium sind Lichtboxen, ein konstitutiver Teil eines jeden Großstadtgefühls. Künden sie normalerweise allabendlich vom Vorhandensein von Call-Shops, Apotheken oder Dönerläden, so nutzt der Künstler seine selbst installierten "City Lights" für psychodelische Motive und die Feier der Leuchte als solcher.

Auch der Prager Künstler POINT wird in den kommenden seine Spuren in Berlin hinterlassen. Für die Ausstellung hat er mehrere Dutzend seiner "Pointiks" produziert - bunte, dreidimensionale Schriftskulpturen, die an exotische Vögel erinnern oder an vergessenes Strandspielzeug. POINT platziert diese Objekte an Orten, an die man schwer rankommt, aber die noch gut sichtbar sind. Das kann auf Dachkanten, Brückengeländer oder in direkter Nachbarschaft von Überwachungskameras sein. Im Moment sind die Pointiks in einer Art Geflügelgatter in der Ausstellung zu sehen, im August will der Künstler sie dann an verschiedenen Orten in der Stadt "aussetzen". Wie lange sie dann noch vom Street Art Sommer 07 künden werden, haben die Berliner selbst in der Hand.

Planet Prozess, Cuvrystr. 3-4, bis 19. August. Mi-So 14-22 Uhr.
Berliner Zeitung, 24.07.2007