Ein Riesenbaby nimmt Konturen an

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Graffiti-Festival: Jugendforum und Kreisschülerrat geben jungen Sprayern in der Oetinger Villa ein Forum für ihre Kunst

Das Riesenbaby bekommt langsam rosige Wangen. Noch hängt das Weiß der Augen recht unvermittelt im Gesicht, doch Albino arbeitet daran, das Antlitz immer realistischer werden zu lassen. Den Blick immer wieder auf das Titelblatt des Magazins „Baby & Co“ geheftet, schattiert der Zwanzigjährige gerade die Nasenspitze im Zentrum des großformatigen Bildes. Die Lippen leuchten bereits knallrot.
Der junge Mann aus der Nähe von Leipzig war einer von fünf Gewinnern des Graffiti-Festivals, zu dem am Samstagnachmittag das Jugendforum Darmstadt und der Kreisschülerrat Darmstadt-Dieburg eingeladen hatten. Im Vorhof der Oetinger Villa entlockten junge Sprayer mit lautem Klackern und „Pft“-Geräuschen zig Spraydosen ihre farbenfrohe Kunst, die langsam auf großen Leinwänden sichtbar wurde. Sie waren im Vorfeld aus 13 Bewerbern ausgewählt worden.

Die Idee zu dem Festival unter dem Titel „Revolution of Styles – spray to change“ wurde vor rund einem Jahr geboren und von Jugendlichen mit Hilfe von Sponsoren und einem Zuschuss der Stadt umgesetzt. „Wir wollen den Leuten zeigen, dass das Kunst ist und nicht nur Schmiererei“, nennt Vivien Costanzo vom Kreisschülerrat einen Gedanken dahinter.

Dass Graffitis oft illegal an Mauern gesprüht werden, ist ihrer Meinung nach Ausdruck eines Defizits. „Es gibt zu wenige Flächen, wo Jugendliche das legal machen können“, sagt Catherine Korytowski vom Jugendforum. Das Festival soll diese Möglichkeit schaffen, aufklären „und somit illegales Gekritzel reduzieren“.

Sandro nutzt die Gelegenheit gerne. „Hätte es früher mehr legale Flächen gegeben, hätte ich damit bestimmt nicht auf der Straße angefangen“, sagt der 19 Jahre alte Griesheimer. „Mit 13 Jahren hatte ich meine erste Kanne in der Hand.“ Kanne heißt in der Sprayersprache Sprühdose. Mit einer solchen in der rechten und seiner selbst gezeichneten Vorlage in der linken Hand, sprüht er gerade die Außenlinien seines Schriftzugs auf die Leinwand. Langsam nimmt das grünliche Gebilde Konturen an und wächst wie maschinenhafte Wolkenkratzer in die Höhe. Bis zum Abend, wenn drinnen ein Hip-Hop-Konzert mit mehreren Musikern das Festival abrundet, wird er noch daran arbeiten.

Die fertigen Werke sollen demnächst unter anderem im Großkino „Cinemaxx“ am Hauptbahnhof ausgestellt werden. Die Veranstalter freuen sich über diese Möglichkeit. Doch noch lieber hätten sie irgendwo in der Stadt eine große Wand, auf der das ganze Jahr Jugendliche ihre Graffiti-Kunst präsentieren können. „Es ist relativ schwer, das durchzusetzen“, schildert Filiz Gölsular vom Jugendforum ihren Eindruck von Gesprächen mit der Stadt. „Es hatte irgendwie keiner Interesse daran.“

Jugenddezernent Jochen Partsch, am Rande der Veranstaltung auf den Wunsch angesprochen: „Ich nehme das auf jeden Fall auf.“ Im Bahnhofsgebiet etwa gebe es ja viele leer stehende Hallen. Er äußerte sich sehr angetan von dem Graffiti-Festival – nicht nur, weil es diese „weltumspannende Jugendbewegung“ raus aus der Schmuddelecke hole. „Das ist eine ganze besondere Veranstaltung, weil hier Jugendliche aus Stadt und Kreis zeigen, wie man sich gegenseitig unterstützt.“ Die Erwachsenen in der Politik könnten sich da durchaus mal eine Scheibe abschneiden.

Die Frage nach einer Wiederholung des Festivals beantworten die beiden veranstaltenden Institutionen jedoch zwiespältig. „Wenn die Resonanz positiv ist, wollen wir’s wieder machen“, sagt Vivien vom Kreisschülerrat. Doch Catherine vom Jugendforum stellt klar: „Wir wollen das auch jeden Fall weitermachen, ob’s heute ein Volltreffer wird oder nicht.“

Alexandra Welsch
2.7.2007